Sehr geehrte Frau Ministerin Gebauer,
sehr geehrter Herr Dr. Schrapper,
liebes MSB-Team,
wir danken Ihnen für die Möglichkeit der Stellungnahme zum Entwurf der zweiten Verordnung zur befristeten Änderung der Ausbildungs- und Prüfungsordnungen gemäß § 52 SchulG vom X. Monat 2020 und begrüßen die Bemühungen, dass Unterricht nach den Ferien im größtmöglichen Umfang unter Berücksichtigung des Infektionsgeschehens als Präsenzunterricht erteilt werden soll.
Unsere Anmerkungen und Überlegungen haben wir einfachhalthalber kursiv eingestellt. Vorab möchten wir mit einer generellen Anmerkung beginnen:
Die grundlegende Zielrichtung dieses Erlasses ist Unterricht nach Regelstundentafel mit jeweiligerLeistungsüberprüfung der SuS. Distanzunterricht auf Grund von Corona-bedingten Schulschließungen oder von Risikoschüler*innen hat sich dieser Prämisse unterzuordnen. Dabei werden viele mögliche Probleme leider ausgeblendet: SuS mit sozialer Benachteiligung, SuS mit Förderbedarf oder mit einer
die Teilnahme am Distanzunterricht ausschließenden Behinderung oder Vorerkrankung, SuS mit überwiegender Stärke im mündlichen Bereich, Schulen mit hohem Lehrermangel (wie im Ruhrgebiet oft anzutreffen), alleinerziehende Eltern sowie Eltern ohne zur Kommunikation mit der Schule ausreichenden Sprachkenntnissen.
Grundsätzlich brauchen wir eine dauerhafte Planungssicherheit für alle SuS, Familien und Schulen. Deshalb wünschen wir uns auch bei steigenden Infektionszahlen eine tägliche Präsenzzeit für alle SuS. Die Lösung wäre ein Wechsel-Schichtbetrieb unter Nutzung des Ganztags in kleinen Gruppen die Abstand zur Sicherheit ermöglichen. Andere europäische Länder haben es in der Krise vorgemacht. Wir sollten dem Beispiel folgen, damit langfristig Chancengleichheit gewahrt bleibt und Verlässlichkeit für Familien und Arbeitgeber entsteht. Ein rollierendes System bei steigenden
Fallzahlen lehnen wir ab. Reiner Distanzunterricht wiederum darf nur eine zeitlich sehr begrenzte Alternative sein. Wir begrüßen auch, dass der Distanzunterricht klarer Vorgaben erhalten soll, halten die Vorgaben dieses Entwurfs aber nicht für hinreichend. Grundsätzlich sehen wir aber die größere Herausforderung darin, Infektionszahlen so klein wie möglich zu halten, um größere Ausbrüche in Schulen zu vermeiden. Deshalb begrüßen wir die Pläne des Ministeriums zu freiwilligen 14-tägigen Testungen und der generellen Testung aller am Schulleben Beteiligten im Falle eines Ausbruchs. Wir wünschen uns aber eine verbindliche Festlegung, die auch den Familien die Testung ihrer Kinder ermöglicht, sobald ein Coronafall an einer
Schule aufgetreten ist. Einer Kohorten-Regelung (Teiltestung in Schulen) stimmen wir nicht zu, sondern fordern, dass in der evtl. betroffene Schule alle am schulleben Beteiligten mindestens im Abstand von 7 Tagen zweimal ganz getestet werden. Nur so kann langfristig wieder Vertrauen zurückgewonnen und die Spaltung der Gesellschaft eingefangen werden. Eltern, Familien und Lehrkräfte brauchen Planungssicherheit.
Beachten Sie bitte auch, dass SuS mit Behinderungen und Erkrankungen von Beginn an mitgedacht werden müssen. In der gesamten Verordnung wird die Situation dieser SuS wieder nicht berücksichtigt. Wir gehen im Einzelnen darauf ein, möchten aber schon jetzt darauf hinweisen, dass insbesondere für diese Kinder und Jugendlichen Bildung, Betreuung, Hilfen, Unterstützung und Teilhabe eine Einheit bilden müssen.
Der Regelunterricht im neuen Schuljahr darf nicht wie in den Vor-Corona-Schuljahren beginnen. Auch ein Leistungsstands-Testung der SuS ist für uns nicht das geeignete Instrument. Stattdessen sollte eine breitaufgestellte Förderoffensive eröffnet werden, die Chance das Versäumte aufzuholen. Dazu müssen Förderkonzepte entwickelt und in den ersten Wochen jahrgangs- und fachbezogen umgesetzt werden. Damit z.B. studentische Hilfskräfte Förderangebote unterstützen können, sollten Kooperationen mit Hochschulen eingegangen werden. Die Angebote müssen vom Land finanziert
werden und während des Unterrichts stattfinden. Erst danach kann der Unterricht je nach Entwicklungsstand der SuS auf den neuen Lehrstoff eingehen. Ein solcher Einstieg wäre grundsätzlich ohne inhaltliche Verluste möglich, da nur ca. 70 % des Lehrplans verbindlich sind und 30% für dieses Vorgehen eingesetzt werden können. Mit der entsprechenden personellen Aufstockung durch z.B. Lehramtsanwärter*innen, wäre die Förderung zum Beginn des neuen Schuljahrs sofort möglich. Eine Verlagerung zum Nachholen in die Herbstferien, halten wir zu spät. SuS brauchen nun schnell Unterstützung und Erfolge, damit Lernfreude und Lernerfolg sie wieder motivieren.
Ein ähnliches Vorgehen wäre bei kurzfristigen Schulschließungen ebenfalls möglich. Die notwendigen Lehrinhalte könnten durch Erhöhung der Personaldecke gut kompensiert werden. Jedoch muss bei Schulschließungen die Anzahl der notwendigen Klassenarbeiten angepasst werden. Diese Möglichkeit der Flexibilisierung ist im Erlassentwurf bedauerlicherweise nicht klar geregelt. Stattdessen wird eine unspezifische Benotung des Distanzlernens vorgesehen, die die Chancengleichheit gefährdet. Davon ausgehend, dass Benachteiligung im Distanzlernen im kommenden Schuljahr nicht ausgeschlossen werden können und häusliche Chancengleichheit nicht hergestellt werden kann, wird es Regelungen für Klassenarbeiten, Prüfungen und Testungen brauchen. Sollte das nicht noch in der Verordnung aufgenommen werden, ist zu befürchten, dass es wieder zu „überraschenden“ kurzfristigen Änderungen der Erlasslage oder weiteren Schulmails kommen wird. Hier fehlt aus unserer Sicht die Berücksichtigung von alternativen Szenarien.
Stellungnahme zu den einzelnen Absätzen: Link zur PDF-Datei der kompletten Stellungnahme
Mit herzlichen Grüßen
Vorstand LEK NRW
Dortmund, 21. Juli 2020