Aus der Pandemie lernen: Kindertagesstätten, allgemeinbildende Schulen im Primar- und Sekundarbereich sowie Förderschulen in Nordrhein-Westfalen zur kritischen Infrastruktur entwickeln und den nächsten Herbst vorbereiten! – Stellungnahme der LEK NRW zur Anhörung im Ausschuss für Schule und Bildung im Landtag NRW am 29.11.2022

In den vergangenen Monaten hatte die LEK NRW schon mehrfach gefordert, Schulen und Kitas als kritische Infrastruktur (KRITIS) anzuerkennen und entsprechend aufzustellen. Durch die Studie von Prof. Dr. Harald Karutz sehen wir uns in unseren Forderungen bestätigt.

In einer Krise müssen alle Ressourcen in den Blick genommen werden. Die Pandemie zeigt deutlich, dass Schule mehr ist als nur Bildungseinrichtung. Betreuungsleistung und Förderangebote der Schulen sind vielfach Bedingung für die Erwerbsarbeit der Eltern und damit die wirtschaftliche Existenz der Familien. Schließen die Schulen, können auch systemrelevante Eltern ihre Tätigkeit nicht ausüben. Es kommt zu Versorgungsengpässen in der Bevölkerung. Unser aller Wohlergehen ist beeinträchtigt. Die fehlende Anerkennung dieses Faktors war ein Nährboden für die wachsende Unzufriedenheit während der Pandemie. Dieser Zusammenhang wurde lange bestritten, weil sich KMK und Schulministerien ausschließlich in der Verantwortung für die Bildung nicht aber für das Wohl der Kinder und Jugendlichen und ihrer Familien sahen.

Doch auch die sich in Krisenzeiten weiter öffnende Bildungsschere ist für unser System relevant. Es findet immer noch zu wenig Beachtung, dass Kinder und Jugendliche das Kapital für die Zukunft nach den Krisen sind. Die psychosozialen und sozioökonomischen Folgen der Schulschließungen insbesondere für alle ohnehin schon benachteiligten Gruppen wie Kinder mit Migrationsgeschichte, Behinderung etc. sind gravierend. Wir stellen fest, dass ohne funktionierende Schulen nicht nur die Bildung unserer Kinder, sondern auch die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft und unseres politischen Systems gefährdet ist.

Damit Schule auch in einer Krise die nötigen Ressourcen für ihr Weiterarbeiten erhält und kein Kind mehr zurückgelassen wird, muss sie als Teil der KRITIS anerkannt werden. Dabei darf es nicht nur um das Offenhalten der Schulen als Betreuungseinrichtung gehen, sondern genauso um passende Bildungsangebote in Präsenz, digital und gegebenenfalls auch – für besonders gefährdete Kinder und Jugendliche – mit aufsuchender Unterstützung.

Kritische Infrastruktur/Krisenplan
Die LEK NRW folgt der Forderung, dass Schulen und Kindertagesstätten als kritische Infrastruktur anerkannt und mit verbindlichen Krisenplänen versorgt werden. Ganz entscheidend ist, dass diese über die schulischen Gremien allen Beteiligten bekannt gegeben werden.

Maßnahmen zur Krisenfestigkeit

Digitalausbau und digitale Arbeitsmittel
Die LEK NRW teilt die Forderung nach verbindlichen, klaren Regeln für digitale Ausstattung von Schulen, Lehrkräften, Schülern und Schülerinnen sowie nach Anerkennung von digitalen Endgeräten als Lernmittel im Rahmen der Lernmittelfreiheit. Der gigabitfähige Breitbandausbau ist durchaus dringlich, hilft jedoch nicht, wenn ein Schulgebäude z.B. wegen einer Naturkatastrophe unbenutzbar ist. Die Ausstattung der Schülerinnen und Schüler ist daher vorzuziehen, damit in Krisenzeiten die digitale Erreichbarkeit zuhause gewährleistet ist.

• Präventionsmaßnahmen
Luftreinigungsanlagen minimieren Infektionsrisiken und verbessern die Teilhabemöglichkeit vulnerabler Gruppen. Gleichzeitig ermöglichen sie das Einhalten der Arbeitsschutzrichtlinien bezüglich der Raumtemperatur. Arbeitsschutzmittel wie Masken müssen nicht nur Lehrkräften, sondern auch Schülerinnen und Schülern gestellt werden, damit auch finanziell benachteiligte Familien sich hochwertige Schutzmittel leisten können und die Teilhabe vulnerabler Gruppen ermöglicht wird. Waschbecken mit Seife und Handtrockenmöglichkeit in den Klassenzimmern sollten als Präventionsmaßnahme längst Standard sein.

• Alltagshelfer/außerschulische Lernorte und weiteres pädagogisches Personal
Die Schulen benötigen nicht noch weiteres unqualifiziertes, kaum auf Eignung getestetes Personal in prekären Arbeitsverhältnissen, sondern qualifizierte Fachkräfte als Teil eines multiprofessionellen Teams. Nur so sind Verlässlichkeit und Perspektiven für alle Beteiligten garantiert. Durch Qualifizierung schon vorhandenen Personals können Synergien hergestellt werden, was Schule auch in Krisenzeiten nutzt aber gleichzeitig die Sicherheit aller in Bezug auf körperliche Unversehrtheit wie Datenschutz gewährleistet. Die Schutzbefohlenheit der Kinder und Jugendlichen muss oberstes Prinzip bleiben. Dies gilt auch im Rahmen der Nutzung außerschulischer Lernorte, die grundsätzlich zu begrüßen ist. Daher bedarf es verbindlicher Eignungskriterien und Standards.

• Intensivierung der Zusammenarbeit mit Eltern
Es ist bedauerlich, dass dies immer noch gefordert werden muss. Dabei hat gerade die Krise deutlich aufgezeigt, dass Bildung ohne Eltern kaum gelingt. Statt sich über fehlendes Interesse an der Bildung ihrer Kinder zu beklagen, muss man Eltern verbindlich als Bildungspartner einbinden. Dies erfordert vor allem verlässliche Erreichbarkeit. Seit Jahren fordert die LEK NRW eine digitale, datenschutzkonforme Kommunikationslösung, wie sie viele Bundesländer schon haben. Profitieren würden nicht nur die Eltern, die endlich das im Schulgesetz verankerte Informationsrecht wahrnehmen könnten, sondern auch das Ministerium sowie sonstige Verantwortliche auf allen Ebenen. Technisch wäre es kein Problem. Es fehlt nur am politischen Willen. Eine stärkere Partizipation der Eltern in Schule scheint nicht erwünscht zu sein.

• Krisenbeiräte
Dass in der Pandemie Schulleitungen in vielen Belangen alleinige Entscheidungsvollmacht hatten, hat in den Schulgemeinschaften zu viel Unmut geführt. Die Forderung nach Krisenbeiräten, die schon im Vorfeld Richtlinien bzw. Krisenpläne angepasst an die lokalen Gegebenheiten ausformulieren und umsetzen, ist daher sehr zu unterstützen. Die Besetzung der Krisenbeiräte muss allerdings auf allen Ebenen demokratisch aus den schulischen Mitwirkungsgremien heraus geschehen. Nur so ist gewährleistet, dass die Bedürfnisse aller an Schule beteiligter Beachtung finden. Kommt es tatsächlich zu einem Notfall, der schnelle Entscheidungen erfordert, gewährleistet der Eilausschuss der Schulkonferenz Handlungsfähigkeit. Eine Aushebelung der Mitwirkungsrechte der legitimierten Mitglieder der Schulkonferenz durch Parallelstrukturen ist abzulehnen. Damit die Gremien auch in einer Krisensituation ihre Aufgaben wahrnehmen können, sind digitale Konferenzen zu ermöglichen.

• Ausbau Fachkräfte
Mehrfach hat die LEK NRW die verbindliche Etablierung von Schulsozialarbeit, Schulpsychologie und medizinischen Fachkräften gefordert. Dies gilt nicht nur für Krisenzeiten. Der Bedarf hat grundsätzlich zugenommen. Es darf zu keiner weiteren Überlastung der Lehrkräfte mehr kommen. Sie müssen durch entsprechend qualifiziertes Personal schnellstmöglich entlastet werden.

• Krisenpläne
Krisenpläne und Vorgaben sollten wissenschaftlich begleitet und regelmäßig aktualisiert werden. Sie bedürfen der stetigen Überprüfung und Anpassung durch die Krisenbeiräte. Ein wesentliches Qualitätskriterium eines Krisenplans ist seine Bekanntheit bei allen Beteiligten schon vor Beginn einer Krise.

• Beteiligung der Kinder und Jugendlichen an den KRITIS-Beratungen
Die LEK NRW unterstützt diese Forderung. Die Beteiligung der Schülerinnen und Schüler auf allen Ebenen muss grundsätzlich gestärkt werden durch verbindliche demokratische Strukturen, institutionelle Unterstützung, Aufklärung über die Beteiligungsrechte, zeitliche und räumliche Ressourcen. Die Beteiligung darf auch in Krisensituationen nicht aussetzen. Voraussetzung ist auch hier Erreichbarkeit. Gerade für sprachbenachteiligte Gruppen ist die Digitalisierung eine wichtige Hilfe bei der Orientierung in unserem komplexen Bildungssystem. Fehlende Verständlichkeit von
Informationen hat in der Pandemie viele Probleme verursacht. Der Datenschutz darf hier nicht als Ausrede dienen. Ein einseitiger Informationsfluss kann ohne Datenschutzverletzungen erfolgen.

Gerade im Krisenfall ist der Zusammenhalt in der Bevölkerung von überragender Bedeutung. In der Pandemie kam es zu einer Spaltung, weil viele Menschen keine Chance sahen, dass ihre Bedürfnisse bei der Entscheidungsfindung anerkannt und befriedigt wurden. Es darf nicht wieder dazu kommen, dass Schulleitungen in einer Krise alleinige Entscheidungsgewalt haben. Eine solche Struktur mochte zwar effektiv erscheinen, tat den Schulleitungen in der Praxis aber keinen Gefallen, da sie anschließend der geballte Unmut traf.

Die gesamte Stellungnahme steht hier zum Download.

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