Offener Brief an Bundeskanzlerin und KMK zum Thema Schule in Pandemiezeiten

Schreiben von Elternverbänden und Unterstützer*innen aus unterschiedlichen Bundesländern. (vom 27.01.2021)

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Dr. Merkel,

wir wenden uns als Elternverbände der Bundesländer Baden-Württemberg,
Bayern, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz,
Saarland, Sachsen nebst weiteren Unterstützer*innen an Sie und möchten die
Gelegenheit nutzen, Ihnen unsere Anerkennung für Ihr persönliches
Engagement im Ringen um den „richtigen“ Weg in der Pandemiebekämpfung
auszusprechen. Für uns stellt sich nach der Beschlusslage vom 19.01.2021 die
Frage, wie es ab dem 15. Februar weitergeht.

Seit Monaten fordern wir – inzwischen geradezu verzweifelt – von den
zuständigen Landesminister*innen die Erstellung stringenter Konzepte für den
Schulbetrieb in Pandemiezeiten, welche die Schaffung einer basalen,
infektionsschutzadäquaten Infrastruktur zur Sicherstellung von Präsenz-
Unterricht und -Betreuung beinhalten. Leider müssen wir konstatieren, dass
auch 11 Monate nach Beginn der Pandemie keine einheitlichen Standards zur
Umsetzung hinreichenden Infektionsschutzes existieren – in keinem
Bundesland.

Aus Sicht der Unterzeichnenden kann dahinstehen, ob Kinder „Treiber der
Pandemie“ sind oder lediglich das allgemeine Infektionsgeschehen abbilden.
Wissenschaftlich und auch praktisch erwiesen ist, dass Infektionen in Schulen
stattfinden und Schulen (auch Grundschulen) somit einen Beitrag zum
Infektionsgeschehen leisten. Diese Realität muss von den politisch
Verantwortlichen endlich radikal akzeptiert werden. Vor dem Hintergrund der gesamtgesellschaftlichen Bedeutung von Schulen und den psychosozialen
Folgen von Schulschließungen für Kinder und deren Familien ist es schlicht nicht hinnehmbar, dass immer noch keine dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechenden Rahmenbedingungen konzipiert sind, geschweige denn tatsächlich umgesetzt werden. Nach unserem Dafürhalten liegt dies neben nachhaltiger und beratungsresistenter Realitätsverdrängung vor allem an der mangelnden Bereitschaft die erforderlichen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen. Dies ist mehr als fahrlässig, wenn man sich die weitreichenden Konsequenzen dieses Handelns bzw. Unterlassens vergegenwärtigt. Die Pandemie führt inzwischen zu einer deutlich wahrnehmbaren sozialen Spaltung der gesamten Gesellschaft, welche sich durch den Umgang mit den Schulen weiter verfestigen wird.

Bitte lassen Sie daher nicht zu, dass sich die wiederkehrende und als
vermeintlich ausweglos dargestellte Dichotomie von „Schulen auf ohne
hinreichenden Infektionsschutz“ und „Schulen zu“ fortsetzt. Dies ist angesichts
des Umstands, dass eine Beschulung und Betreuung in Präsenz vor allem für
junge Kinder und Kinder mit besonderem Förderbedarf essentiell ist,
unabdingbar. Mit den an den Schulen bislang existierenden, unzureichenden
Schutzvorkehrungen kann ein dauerhafter Schul- und Betreuungsbetrieb in
Präsenz nicht sichergestellt werden. Da fest steht, dass die Pandemie unseren
Alltag noch geraume Zeit prägen wird, Kinder in Ermangelung einer
Impfmöglichkeit auf unabsehbare Zeit schutzlos bleiben und aufgrund der
Mutationen eine erhöhte Infektionsdynamik droht, bedarf es hier
grundlegender und nachhaltiger Veränderungen im Handeln.

Die Unterzeichnenden dieses Schreibens sind ein Abbild der heterogenen
Interessensgruppen und Perspektiven bezüglich des Themas Schule in der Pandemie. Allen gemeinsam ist aber das Ziel, das Recht von Kindern auf Bildung und Betreuung unter gleichzeitiger Berücksichtigung der diversen Bedürfnisse der Eltern in der Pandemie realisiert zu wissen. Deshalb fordern wir:

  1. Infektionsschutzadäquate einheitliche Rahmenbedingungen für Schul- und Betreuungsbetrieb in Präsenz mit konsequenter Umsetzung der RKI- Empfehlungen für Schulen gem. Positionspapier vom 12.10.2020 (Einhaltung der AHA+L-Regeln, technische Vorrichtungen (mobile Luftfilter, Plexiglastrennwände, FFP-2-Masken u. ä.), Testkonzepte etc.)).
  2. Sofern das Infektionsgeschehen Präsenzbetrieb nicht zulässt: Distanzunterricht (mit Unterstützungsangeboten für Familien, für die Distanzunterricht keine Option darstellt) und Flexibilität für alternative Modelle vor Ort.
  3. Die explizite Anerkennung, dass auch das Schuljahr 2020/2021 kein „normales“ Schuljahr ist, mit der Konsequenz, dass bezüglich der zu erbringenden Leistungsnachweise (Testungen und Prüfungen) Anpassungen vorgenommen werden, um nachhaltig den auf allen Betroffenen lastenden Druck zu vermindern.

Wir appellieren eindringlich an Sie: Erklären Sie (auch) das Thema Schulen
unverzüglich zur Chefsache!

Anke Staar, Vorsitzende Landeselternkonferenz NRW
Reiner Schladweiler, Vorsitzender Landeselternbeirat RLP und Regionalelternbeirat Trier
Cindy-Patricia Heine, Vorsitzende Landeselternrat Niedersachsen
Henrike Paede, Stellvertretende Vorsitzende Bayerischer Elternverband e.V.
Michael Mittelstaedt, Vorsitzender Landeselternbeirat Baden-Württemberg
Nadine Eichhorn, Stellvertretende Vorsitzende LandesElternRat Sachsen
Stefan Kreis, Vorsitzender Gesamtlandeselternvertretung Saarland
Marc Keynejad, Vorsitzender Elternkammer Hamburg
Stephan Wassmuth, Delegierter, Bundeselternrat, Lohfelden
Petra Mueller, Delegierte, Bundeselternrat, Pfalzfeld
Thomas Brewig, Vorsitzender des Kreiselternrates Chemnitz
Stadtelternrat Göttingen
Tanja Speckenbach, Vorsitzende Landeselternschaft der Förderschulen mit dem Schwerpunkt geistige
Entwicklung e.V.
Romy Suhr, Vorsitzende die Inklusiven e.V.
Erol Çelik, Elternnetzwerk NRW, Integration miteinander e.V.
Klaus Amoneit, Landesvorsitzender Progressiver Eltern- und Erzieherverband NW – PEV
Jutta Löchner, Vorstandsvorsitzende der Landeselternschaft der Gymnasien in NRW e.V.
Prof. Franz-Josef Kahlen, Mitglied des Vorstands der Landeselternschaft der Gymnasien in NRW e.V.
Bernd Kochanek, Vorsitzender Gemeinsam Leben, Gemeinsam Lernen e.V.
Nadine Candelaresi, sicherebildung.jetzt
Eva-Maria Thoms, Vorsitzende mittendrin e.V
Kinder- und JugendlichenpsychotherapeutInnen, Kompetenznetz Westfalen Lippe e.V.
Annette Greiner, Uwe Sonneborn, Katrin Quappen, Landesverband Schulpsychologie NRW
Lydia Lüttich-Jaspers, Münster
Cornelia Beeking, Münster
Dr. med. Jana Schroeder, Münster
Dr. Irene Schütze, Mainz
Prof. Dr. Christian Kähler, München
Prof. Dr. Markus Scholz, Leipzig
Prof. Judith Samen, Düsseldorf
Kerstin Lünenbürger, Main-Taunus-Kreis


Den offenen Brief gibt es hier zum Download.

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