Das Anmeldeverfahren an weiterführenden Schulen sorgt regelmäßig für Diskussionen in den Kommunen und Tränen in den Familien. Die Vergabe der Schulplätze wird oft als intransparent oder sogar unfair wahrgenommen. Insbesondere benachteiligte Familien müssen vielerorts feststellen, dass das Recht auf freie Schulwahl für sie nur auf dem Papier steht. Nur wenige Eltern trauen sich, den Rechtsweg zu beschreiten. Solange die Kommunen nicht genügend Schulplätze zur Verfügung stellen, wird sich auch in Zukunft Unmut nicht vermeiden lassen. Die Landesregierung kann hier aber durchaus einen gewissen Einfluss ausüben z.B. im Rahmen von Genehmigungsverfahren bei der Neugründung von Schulen.
Zum Punkt „Abschaffung des Mehrfachanmeldeverfahrens“:
Die in der Regel nur von gut informierten Eltern genutzte Möglichkeit der Mehrfachanmeldungen hatte die Probleme noch gesteigert und zu teilweise chaotischen Zuständen geführt. Die LEK NRW begrüßt daher das im November beschlossene ausdrückliche Verbot dieser Praxis.
Zu den Punkten „Abschaffung des vorgezogenen Anmeldeverfahrens“
und „Priorisierung von bis zu drei Schulen“:
Das vorgezogene Anmeldeverfahren soll für die Familien die Risiken bei Anmeldung an einer besonders nachgefragten Schulform mindern. Ob dies tatsächlich im Interesse der Familien liegt, hängt von weiteren Umständen ab. Es profitieren aber die bevorzugten Schulen, die so leichter eine ausgewogene Zusammensetzung der Klassen erreichen können. In der Regel handelt es sich um integrierte Schulen. Augenscheinlich gibt es vielerorts nicht ausreichend Gesamtschulplätze. Das Nachsehen haben Schulen des gegliederten Systems, insbesondere Haupt- und Realschulen. Die Sonderregelung wäre gerechtfertigt, wenn die Familien integrierte Schulen grundsätzlich vorzögen. In Kommunen wie Dortmund zeigt sich allerdings, dass nur bestimmte Gesamtschulen von besonders gutem Ruf überlaufen sind. Im Falle der Ablehnung suchen die Familien häufig einen Platz im gegliederten Schulsystem statt an einer schlechter beleumundeten Gesamtschule. Eltern geht es meist nicht um die Schulform an sich, sondern um die beste Bildung für ihr Kind. Das vorgezogene Anmeldeverfahren verschleiert diesen Umstand.
§1 (1a) Satz 3 APO-S I ermöglicht die Abfrage eines Zweitwunsches hinsichtlich einer weiteren Schule oder Schulform. Dieses Verfahren ist mindestens ebenso gut geeignet, die Risiken der Anmeldung an einer stark nachgefragten Schule zu mindern. Die Wünsche der Familien werden genauer abgebildet, Intransparenz wird vermieden. Aus Elternsicht besteht daher kein Bedarf mehr für das vorgezogene Verfahren. Positiv zu bewerten ist auch, dass die Kommunen nicht nur einen Zweit-, sondern jetzt auch einen Drittwunsch abfragen können und dass dieses Verfahren nicht mehr als unverbindlich gekennzeichnet wird. Allerdings fehlen hier Spezifizierungen für das Losverfahren, so dass wieder mit Unmut bis zu Auseinandersetzungen vor Gericht zu rechnen ist. Zudem ist die praktische Umsetzung eines priorisierenden Verfahrens nicht ganz einfach. Es sollte Aufgabe des Ministeriums sein, ein geeignetes digitales System bereitzustellen. Dabei ist zu beachten, dass digitale Verfahren unpersönlicher sind und keineswegs barrierefrei.
Zu „Begünstigung der Gesamtschulen“:
Eine Begünstigung der Gesamtschulen ergibt sich im Übrigen vor allem dann, wenn die Schulen in ihren Aufnahmekriterien nicht für die dem System der integrierten Schulen eigentlich angedachte Leistungsheterogenität sorgen, sondern hauptsächlich Kinder mit einem zu einem Besuch eines Gymnasiums empfehlenden Notenschnitt aufnehmen. Dieses Phänomen war zu Zeiten von G8 besonders ausgeprägt, ist aber nach Wiedereinführung von G9 nicht grundsätzlich verschwunden. Dadurch genießen Gesamtschulen in einem geeigneten Einzugsgebiet größere Freiheit bei der Zusammensetzung der Klassen als Schulen des gegliederten Systems inklusive der Gymnasien. Größere Fairness würde durch strengere Vorgaben in diesem Punkt hergestellt.
Zum Punkt „Information“
Gründliche Information der Eltern hat die LEK NRW schon in vorigen Stellungnahmen immer wieder angemahnt. Allein die Wahl der Schulform, erst recht einer bestimmten Schule mit ihren spezifischen Standortbedingungen und Profilen überfordert viele Eltern, insbesondere, wenn diese das deutsche Schulsystem selbst nie erlebt haben. Dessen Durchlässigkeit ist häufig nicht bekannt. Dafür wäre eine intensive Beratung nötig, für die die Schulen meist keine Kapazitäten haben. Diese müssen dringend bereitgestellt werden. Vor allem aber bedarf es der Weiterbildungsmöglichkeiten für Eltern als Bildungspartner ihrer Kinder.
Zu „Aufnahme nicht geeigneter Kinder“
Die Behauptung, Schulen des gegliederten Systems müssten ihre Klassen mit für die Schulform ungeeigneten Kindern auffüllen, kann in ihrer Pauschalität nicht stehenbleiben. Damit dürften zuallererst Kinder ohne passende Schulformempfehlung gemeint sein. Deren Prognosefähigkeit bezüglich des anzustrebenden Schulabschlusses ist erwiesenermaßen begrenzt, was nicht Wunder nimmt, erfolgt sie doch aufgrund der Leistungen in der dritten Klasse bezogen auf eine Klasse eines spezifischen Settings. Schon nach dem Übertritt ergibt sich manchmal ein völlig anderes Bild, sowohl in die eine wie die andere Richtung. Dieses gilt erst recht einige Jahre später, wenn das Kind angemessen gefördert wurde und sich weiterentwickeln konnte. In Hinblick auf den Fachkräftemangel an Grundschulen werden die weiterführenden Schulen in Zukunft häufiger Lücken aufarbeiten müssen. Dazu brauchen sie die nötigen Mittel und insbesondere die Lehrkräfte am Gymnasium eine angepasste Aus- und Fortbildung. Im Übrigen ist keine Schule gezwungen, Schüler aufzunehmen, die ihr nicht geeignet erscheinen.
Zum Punkt „Schulbezirke“:
Alle weiterführenden Schulen sind heute aufgefordert, besondere Profile auszubilden. Die Einrichtung von Schulbezirken würde die Möglichkeit der Familien einschränken, eine Schule mit einem speziellen Angebot auszuwählen. Die Chancengleichheit der Kinder wäre massiv beeinträchtigt. Gleichzeitig sollten auch aus Gründen des Klimaschutzes und der finanziellen Belastung der Familien lange Schulwege möglichst vermieden werden. Kinder, die in Fuß- oder Fahrrad-Nähe einer Schule wohnen aber dem besonderen Profil nicht entsprechen, sollten nicht gezwungen sein, zu einer sehr viel entfernter liegenden Schule fahren zu müssen. Die Länge des Schulwegs sollte daher zwingend in den Kriterienkatalog aufgenommen werden.
Das sich aus den Zielen kurzer Schulweg und Förderung besonderer Interessen und Talente ergebende Dilemma lässt sich nur auflösen, wenn alle Schulen personell und sächlich so gut ausgestattet werden, dass sie ein breites Angebot zur Förderung der leistungsstärkeren wie -schwächeren Kinder vorhalten können. Nicht jede Schule wird jedes Profil bilden können. Bei kleineren Schulen können Kooperationen helfen. Es ist Aufgabe der Politik, Wege zu finden, die Chancengleichheit sichern. Nutznießer wären alle Kinder, da sich in der Folge die Anmeldungen gleichmäßiger auf die Schulen verteilen könnten und es seltener zu Überhängen käme. In besonderem Maße würden Kinder ohne den Hintergrund einer bildungsaffinen, ressourcenreichen Familie profitieren. Sie besuchen bislang wesentlich seltener eine zur Förderung ihrer Talente speziell ausgestattete Schule.
Zum Punkt „Kriterienkataloge“:
Die „Leistungsfähigkeit“ allgemein ist wegen der geringen Aussagekraft der Schulformempfehlung kein geeignetes Kriterium. Begabte Kinder, die das Pech hatten, eine stark von Lehrermangel betroffene Grundschule zu besuchen, haben dann das Nachsehen. Siehe auch unsere Ausführungen oben. Schulen, die besondere Profile mit Musikklassen, bilingualen Klassen usw. ausbilden, sollten die Möglichkeit erhalten, dieses Profil auch im Kriterienkatalog abzubilden. Andernfalls ergibt sich beispielsweise die Situation, dass eine bilinguale Französischklasse nicht zustande kommt, obwohl es genügend Anmeldungen dafür gibt, ein Teil der interessierten Kinder aber im Losverfahren unterliegt.
Es ist fraglich, ob darüber hinaus den Schulen erlaubt sein sollte, weitere Kriterien auszuwählen. Ein faires Anmeldeverfahren erfordert Transparenz. Diese ließe sich am besten dann gewährleisten, wenn überall dieselben Kriterien beachtet werden müssten.
Zum Punkt Orientierungsstufe:
Ein Wechsel leistungsstarker Kinder nach der Orientierungsstufe auf eine anspruchsvollere Schulform kommt in der Praxis selten vor. Eine Verbesserung der Durchlässigkeit ist hier dringend anzumahnen. Eine Abschulung mag durchaus neue Chancen eröffnen, wird aber häufig als traumatisierend empfunden, was den weiteren Werdegang länger belasten kann. Dies gilt insbesondere, wenn es nach dem Verlassen des Gymnasiums nur noch einen Platz an einer Hauptschule gibt oder ein längerer Schulweg zu bewältigen ist. Anders wäre dies nur, wenn alle Kinder noch einmal wechseln würden, was aber zu Lasten der sozialen Anbindung ginge. Zudem ist ein Wechsel auf eine Gesamtschule eher selten möglich, da diese ausgelastet sind und selbst nicht abschulen. Der Mangel an Schulplätzen führt dazu, dass gerade leistungsschwächere Kinder keine echten Wahlmöglichkeiten haben.
Jede Schule sollte daher in die Lage versetzt werden, aufgenommene Kinder zu einem Schulabschluss zu führen. Es muss auch am Gymnasium nicht zwangsweise das Abitur sein.
Fazit:
Ein priorisierendes Verfahren mit Wahlmöglichkeit von bis zu drei Schulen würde den Bedürfnissen der Familien besser Rechnung tragen und ist daher zu bevorzugen. Jedoch nicht eine bestimmte Schulform ist verantwortlich für die Beschränkung des Elternwillens, sondern der Mangel an ausreichend Schulplätzen mit gleichwertiger Ausstattung und Angebotsvielfalt. Nicht so sehr das vorgezogene Verfahren benachteiligt die anderen Schulen, denn auch Gesamtschulen an weniger privilegierten Standorten sind benachteiligt. Es sind die Auswahlkriterien, die Benachteiligungen entstehen lassen. Die Leistungsfähigkeit sollte nicht dazu zählen, vielmehr müssen Wohnort, Neigung, Talent sowie Geschwister eine verbindlichere Rolle spielen. Jedoch darf das Wahlrecht nicht eingeschränkt werden. Kinder müssen nicht in „die am besten geeigneten Schulen verteilt“ werden. Vielmehr müssen die Kommunen dringend für mehr Schulplätze sorgen, statt überfüllter Klassen. Kinder bereits im Alter von 9 Jahren grundsätzlich Leistungsfähigkeit abzusprechen, verschleiert die eigentliche Problematik des massiven Mangels an Schulplätzen und Lehrkräften. Nicht leistungsschwächere Kinder verhindern den Unterrichtserfolg, sondern der Mangel an sächlicher, räumlicher und personeller Ausstattung.
Wir teilen die Forderung, dass Eltern insbesondere benachteiligter Familien, viel intensiver als Bildungspartner ernst genommen, beteiligt und informiert werden müssen.
(chbe)