Kolumne: Schule im Krisenmodus 2.0

Da stellt mir die Presse gestern die Frage, was der kommende Herbst und Winter den Familien bescheren wird. Wenn es nicht so ernst wäre, würde ich schon bei der Frage schmunzeln, erst recht, wenn sie darauf zielt, wie das Leistungsprinzip im Angesicht der herrschenden Knappheiten aufrechterhalten werden kann.

Spontan hätte ich gerne geantwortet: „Die Familien erwarten eine große Unsicherheit bezüglich der pandemischen Lage, Ungewissheit, welche Maßnahmen in Schule greifen und daraus folgend berufliche Zukunftssorgen. Noch immer sind viele Schulen digital nicht gut genug aufgestellt, um bei möglichen Schulschließungen weiter unterrichten zu können. Erwartbar ist bei weiterhin fehlendem Ausbau von Lüftungsanlagen wieder Intervall- oder Dauerlüften. Bei dem sich angesichts des Kriegsgeschehens und selbstverschuldeter Abhängigkeiten abzeichnenden Gasmangel dürfte das Frieren in den Klassenräumen diesmal durch den Wegfall von Heizmöglichkeiten noch verstärkt werden. Zu befürchten ist, dass als erstes bei den Jüngsten gespart wird, also in Schulen, und nicht etwa in Verwaltungs- oder Regierungsgebäuden. Dazu braucht man nicht einmal eine Glaskugel.“

Doch eigentlich Probleme für die Bildung der Kinder ist nicht nur die Pandemie und Kälte. Die Frage ist, ob der Bildungsauftrag der Schule wirklich noch ernst genommen wird/ werden kann. Da beschließt zum Beispiel Gelsenkirchen kurzfristig, ab kommendem Schuljahr in allen Grund- und Förderschulen die Kernschulzeit um 15 % zu kürzen. Man habe nicht ausreichend Lehrkräfte. Abordnungen seien nicht möglich, weil das den Lehrkräften nicht zumutbar sei und diese ansonsten erkrankten. Nur gut, dass man das den Lehrkräften nicht selbst mitteilt. Die Bezirksregierung Münster teilt weiter mit, dass eine Klärung oder gar Lösung des Problems durch Neueinstellungen während der Urlaubszeit nicht möglich sei. Man weiß nicht, ob man weinen oder lachen soll. Andere Kommunen gehen viel „geschickter“ vor und überschreiten einfach den Klassenfrequenzrichtwert in Grundschulen deutlich, so dass 30 Kinder in Grundschulklassen längst wieder Standard sind.

In Summe wäre meine Empfehlung an die Eltern: Teilt auf Eurer Arbeitsstelle schon mal mit, dass der Unterricht Eurer Kinder in Zukunft wohl nicht mehr im vollen Umfang stattfinden wird, eine 4-Tage Woche wie in Sachsen-Anhalt scheint nicht mehr auszuschließen, Betreuungsalternativen entfallen Mangels Personal, sodass Ihr zukünftig auch 15 % weniger anwesend sein werdet! Vielleicht erhaltet Ihr trotzdem vollen Lohnausgleich.

Falls Ihr Eure Arbeitszeiten anders als verbeamtete Lehrkräfte nicht aussuchen und nicht so lange Teilzeit machen könnt, wie Ihr möchtet, mit der Garantie, jederzeit wieder auf Vollzeit aufzustocken und derzeitige Arbeitgeber einfach nicht mitspielt, dann solltet Ihr nach einem neuen Job ausschauhalten – das Angebot ist groß. Wie wäre es mit Erzieherin in der schulischen Betreuung, Schulbegleiter*in oder Schulsozialarbeiter*in? Auch Digitalhausmeister*innen und Verwaltungshilfen sind sehr gefragt. Dann passen Eure Arbeitszeiten wieder und bestimmt könnt Ihr Eure Kinder sogar mitbringen.

Das bisschen Bildung, das Euren Kindern durch die Unterrichtskürzung verloren geht, schafft Ihr doch locker in den Abendstunden aufzuholen. Im Übrigen freuen sich die privaten, aber neuerdings staatlich geförderten Nachhilfeinstitute über eine weitere Umsatzsteigerung. Bei steigender Inflation erhalten sicherlich bald auch mehr Familien staatliche Unterstützung für außerschulische Nachhilfe, damit das Geld bloß nicht den Schulen direkt zukommt.

Lehrkräfte mögen mir den Zynismus verzeihen! Natürlich sind das alles die Folgen von Jahrzehnten verfehlter Schul-, Energie- und Gesundheitspolitik. Eltern unterstützen gerne die Forderung nach einer fairen Bezahlung von Lehrkräften, fordern aber mehr Respekt vor dem Bildungsauftrag der Schule. Es geht um Bildungsangebote und Bildungserfolge für alle Kinder. Dafür kann es auch nötig sein, zumindest zeitweise an unattraktiveren Standorten oder zu ungewohnten Zeiten (z.B. am Nachmittag und verteilt auf fünf Werktage) zu unterrichten, was sogar aktiver Klimaschutz sein könnte und Stoßzeiten im ÖPNV entzerren würde. Unbequem oder unattraktiv, mit Nichten, denn bereits Standard an vielen Ganztagsschulen. Wenn Abordnungen nicht tabuisiert würden oder Referendare gezielter zugeteilt würden, die Stundentafel kein Heiligtum bleibt, könnte vielen Standorten sicherlich viel schneller geholfen werden. Unsere neue Bildungsministerin Frau Feller will viele zusätzliche Lehrkräfte gewinnen. Besonders großen Dank wird sie ernten, wenn es ihr gelingt, auch bis dahin sicherzustellen, dass alle Kinder und Jugendliche gut und vollständig unterrichtet und betreut werden und Erfolg nicht länger von „finanziellen“ Herkünften der Familie, Kommunen und Schulen abhängig bleibt.

Anke Staar

Dortmund, 14. Juli 2022

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