Mit Entsetzen nehmen die Kreis- und Stadtschulpflegschaften zur Kenntnis, dass man im Ministerium den Zensuren und Empfehlungen durch die Grundschule wieder mehr Verbindlichkeit auferlegen will. Somit erhöht man schon bei den Kleinsten den Leistungsdruck, schwächt den Rahmen für die individuellen Förderungen von Stärken und Talenten der Kinder, sowie auch die Kooperation zwischen Lehrern und Eltern. In den meisten Fällen befolgen die Eltern nämlich schon jetzt die Empfehlung der Lehrer, und nur in den wenigsten Fällen entscheiden sich Eltern dagegen. Unserer Meinung nach ist diese Diskussion demnach obsolet und lenkt nur von der eigentlichen Problematik der Grundschulen ab:
Fast jede Grundschule in NRW, insbesondere die Grundschulen in den Großstädten, leiden unter der Mangelverwaltung der knappen Lehrerstellen und müssen nicht selten auf „Aushilfskräfte“ zurückgreifen, um irgendeine Art der Beschulung überhaupt zu gewährleisten. Das kann nicht nur dazu führen, dass Fehlempfehlungen ausgesprochen werden, sondern auch in vielen Fällen die Noten deutlich hinterfragt werden sollten, die sowohl als Zeichen für Überforderung, als auch für Unterforderung bewertet werden können. Die Benotung hängt in diesem Sinne daher in vielen Fällen auch davon ab, ob Grundschule in der heutigen Zeit überhaupt noch auf die Kinder eingehen kann, oder ob viel mehr durch die massive Unterversorgung mit ausgebildeten Lehrkräften und Sonderpädagogen guter Unterricht nicht ausreichend stattfindet.
Empfehlungen und damit die Notengebung sind zudem oftmals eine subjektive Momentaufnahme einer Leistungsüberprüfung, die immer auch abhängig vom Leistungsvermögen und der Leistungsbereitschaft des Lehrenden ist, sowie von vielen widrigen Umständen, die der einzelne Schüler oder die einzelne Schülerin nicht selbst beeinflussen kann. Eine Vielzahl von Studien (z.B:
http://www.zeit.de/2017/22/soziale-herkunft-eltern-bildung-studium;
http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/armut-und-reichtum/studie-beruflichererfolg-haengt-stark-von-den-eltern-ab-12036400.html) zeigt deutlich auf, wie abhängig die Benotung und das Ansehen des Leistungsvermögens der Schülerschaft (SuS) von Vorurteilen durch soziale und kulturelle Herkunft sind. Eine verbindliche Schulformempfehlung lässt vermutlich nur selten den Spielraum des Ausgleichs und der Nachprüfung zu, und wird in der Folge dennoch dazu führen, dass Eltern, die in diesem Fall eine solche Empfehlung nicht verfolgen möchten, den Klageweg bestreiten. Dies wiederum führt nur zu Mehrarbeit auf der Verwaltungsebene. Ob man das im Ministerium möchte?
Über die Hintergründe der Einspielung dieses Themas in die Öffentlichkeit können wir nur spekulieren. Aber soll es wirklich nötig sein um die Bildung in NRW zu verbessern, dass Beurteilungen, die von multiplen Faktoren beeinflusst werden, einen Lebensweg frühzeitig einzementieren? Wäre es nicht viel notwendiger endlich die Voraussetzungen für eine gute Lernumgebung an Grundschule zu schaffen und sich darauf zu konzentrieren Schule der heutigen Zeit angepasst neu zu denken? Wie dramatisch SuS von gut fachlich ausgebildeten Pädagogen abhängig sind, zeigt die Zahl der vermeintlichen „Schulversager“, die die Berufskollegs auffangen müssen.
In der heutigen Zeit, wo es um die Förderung und Stärkung aller SuS abhängig von den einzelnen Bedarfen geht, und das Ziel des Ministeriums sein sollte, jedes Kind an jeder Schule optimal nach seinen Bedürfnissen zu fördern, sowie die grundsätzliche Lernbereitschaft und Motivation der Kinder neue Informationen gerne aufzunehmen im Blick zu haben, scheint eine solch rückwärtsgewandte Diskussion, die eine stärkere Sortierung nach Leistungsvermögen, statt Förderung der Heterogenität im Blick hat, fast absurd. Vielfach machen Studien darauf aufmerksam, wie wichtig es für eine
Gesellschaft ist, die SuS sogar deutlich über die viere Jahre Grundschulzeit zusammen lernen zu lassen, wie das in den allermeisten europäischen Nachbarstaaten auch der Fall ist.
Die Einspielung dieses Themas zeigt unserer Meinung nach allenfalls auf, dass ein Bundesland wie NRW, mit der höchsten Schülerdichte und den geringsten Ausgaben pro Kind, nach wie vor nicht bereit ist die notwendigen Mittel in die Hand zunehmen, damit sowohl Leistungsschwächen abgebaut und Leistungsstärken gefördert werden können. Dies bringt für die Zukunft aus unserer Sicht die meisten Vorteile und stärkt unsere Wirtschaftskraft, da erwiesenermaßen eine gute Bildung für alle Menschen, zu mindestens zurzeit, eine höhere Rendite mit sich bringt als Spareinlagen…Studien belegen, dass jeder investierte Euro in Bildung 2-4fach zurückkommt (Roßbach, 1996; Schweinhart et al., 2007; Maier-Pfeiffer et al., 2013). Unseres Erachtens nach, muss es Ziel sein, dass alle Schulen in die Lage versetzt werden, personell und sachlich, jedes Kind nach seinen Bedürfnissen fördern zu können. Solange das nicht der Fall ist, muss der Elternwille verbindlich bleiben, sodass dieser bei der Entscheidung für den optimalen Förderort des Kindes, das heißt für die Wahl der weiterführenden Schule mit ausschlaggebend ist. Eltern müssen daher, als erster Bildungspartner ihres Kindes, die freie Schulwahl behalten!
Das Verstecken hinter „Eliteansprüchen“ und die Begründung, dass darunter leistungsstarke SuS leiden, lenkt von dem Wunsch nach Autoritätsanspruch der Lehrerschaft ab, und nimmt Eltern die Mitverantwortung ihres eigenen Erziehungs- und Bildungsauftrags. Das Ausspielen der Eltern gegeneinander, Schwächen und Stärken der Kinder nicht fördern zu können und damit den Eindruck
zu erwecken, eine Schülerart würde bevorzugt, setzt dem Ganzen im Grunde die Krone auf. Solange also die Unterbesetzung und Minderausstattung der Schulen, sowie mangelnder Konnexitätsausgleich vorherrscht, wird durch das Thema der verbindlichen Schulformempfehlung durch die Grundschule von der Grundproblematik des Mangels an Investition in Bildung in NRW wohl bewusst abgelenkt.
Pressemitteilung zur verbindlichen Schulformempfehlung (PDF)