Stellungnahme der Landeselternkonferenz NRW zur Anhörung des Ausschusses für Schule und Bildung des Landtags NRW am 07.03.2023

Anhörungsgrundlage: Anträge der Fraktion der FDP „Erschütternde Ergebnisse bei IQB-Bildungstrend. Die Landesregierung muss alles daransetzen, die Qualität der Bildung zugunsten der Bildungsgerechtigkeit zu heben.“ (Drucksache 18/1365), „Lehrerstellenbesetzungsoffensive. NRW – Aufklaffende jetzt vorausschauend und qualitätssichernd schließen!“ (Drucksache 18/1102) sowie „Handlungskonzept Unterrichtsversorgung“ (Vorlage 18/604)

Sehr geehrte Damen und Herren,

die LEK NRW dankt Ihnen für die Möglichkeit der Stellungnahme.

Beim IQB-Bildungstrend 2021 zeigte sich im Vergleich zu 2016 ein deutlicher Leistungsrückgang in den Bereichen Zuhören, Lesen, Orthografie und Mathematik, ein weiteres Auseinanderklaffen der Bildungsschere zwischen Kindern aus privilegierten und sozioökonomisch benachteiligten Familien und ein stark unterdurchschnittliches Abschneiden von NRW. Dies alles überrascht Eltern nicht.

Das Problem in NRW ist, dass aktuelle Herausforderungen wie die Einschränkungen der Corona-Zeit, frisch zugewanderte Kinder ohne Deutschkenntnisse sowie zunehmend mehr Kinder, die von ihren Familien – mit und ohne Migrationshintergrund – nicht in angemessener Weise auf die Schule vorbereitet und Tag für Tag begleitet werden können, auf ein seit Jahrzehnten im bundesweiten Vergleich unterfinanziertes Schulsystem treffen. Der Mangel an den Ressourcen Personal, Schulraum und digitale Ausstattung macht sich insbesondere in den Brennpunkten bemerkbar, wo immer mehr Lehrkräfte aufgeben und Bildungsstandards endgültig nicht mehr erreicht werden können.

Lange wurde ein Ausweg darin gesucht, mithilfe von nicht evaluierten pädagogischen Experimenten das Lernen vermeintlich zu erleichtern. Tatsächlich hat dies meist dazu geführt, dass Kinder ohne häusliche Unterstützung noch weiter abgehängt wurden. Daher sind wir sehr dankbar, dass Frau Ministerin Feller die Ergebnisse des IQB zum Anlass nehmen will, „alles schonungslos auf den Prüfstand zu stellen“. Wir raten dabei, von den Erfahrungen Hamburgs zu lernen, das sich in den letzten zehn Jahren deutlich verbessern konnte:

  • Kinder, die gefährdet sind, abgehängt zu werden, möglichst früh, schon in Kita und Grundschule in den Kernkompetenzen fördern;
  • Teilnahme an der Förderung verbindlich machen;
  • Maßnahmen regelmäßig evaluieren.

In der aktuellen Situation, in der viele Kinder und Jugendliche mit Defiziten zu kämpfen haben, sei es in ihrer psychosozialen Entwicklung, sei es durch nicht erlernten Schulstoff, sei es durch frische Zuwanderung ohne Deutschkenntnisse, muss zusätzliche Förderung auch an weiterführenden Schulen stattfinden. Damit sie passgenau ist, sollte die Förderung durch Lehrkräfte der Schule erfolgen. Auch die leistungsstärkeren Kinder und Jugendlichen dürfen nicht vergessen werden. Ihnen können z.B. Angebote zum Peer-Learning gemacht werden. Die Aufgabe ist aber insgesamt so groß, dass die Schulen sie nicht allein bewältigen können. Es bedarf einer gemeinschaftlichen Anstrengung aller Beteiligten. Auch die Ausbildungsbetriebe des dualen Systems sowie die Hochschulen müssen sich mit der Situation auseinandersetzen und Wege finden, bei der Bewältigung zu helfen.

Vor allem aber bedarf es einer Entlastung der Lehrkräfte, damit sie sich auf ihren Unterricht konzentrieren können. Die administrativen Aufgaben nehmen zu. Doch statt den Schulen entsprechende Fachkräfte an die Seite zu stellen, wurden in vielen Kommunen Sekretariatsstellen zusammengestrichen. Eine Verstetigung der Schulsozialarbeit – wie von der LEK NRW und weiteren Verbänden schon vor dem ersten großen Flüchtlingszuzug im Jahre 2005 gefordert – steht immer noch aus. Mehr Lehrkräfte müssen gewonnen werden. Eine Flexibilisierung der Zugangsmöglichkeiten in den Lehrberuf ist dringend nötig. Gleichzeitig bedarf das Lehramtsstudium einer Neuaufstellung, um der hohen Studienabbruchquote entgegenzuwirken. Duale Studiengänge wären dabei in mehrfacher Hinsicht vorteilhaft. Die geplanten Änderungen der Vorschriften der Lehrerausbildung sind nur ein erster Schritt.

Lernen funktioniert nicht ohne Zeit zum Üben. Diese muss vor allem während der Unterrichtszeit eingeplant sein. Das Üben findet aber auch immer häufiger im Rahmen des Ganztags statt. Ein entscheidender Faktor, um die Bildungsschere wieder zu schließen, ist eine enge Verzahnung von Schule und Ganztag, damit auch Kinder aus weniger privilegierten Familien eine passgenaue Hilfe erhalten. Dies gelingt bislang vor allem im gebundenen Ganztag, da hier der Nachmittag nicht von einem anderen Träger verantwortet wird. Zusätzliches Personal für solche nachrangige pädagogische Unterstützung kann durch Weiterbildung von bereits in der Schule in Betreuung und Lernbegleitung tätigen Personen generiert werden. Klare Rahmenkonzepte würden für Verlässlichkeit sorgen und den Beschäftigten eine berufliche Perspektive eröffnen. Die dann entstehenden Synergien wären noch größer, wenn man auch Eltern als Partizipationspartner einbezöge.

Nur durch stete Evaluation lässt sich eine Flickschusterei mit immer neuen Förderprogrammen verhindern, Wie wichtig dies ist, haben wir an dem Programm „Aufholen nach Corona“ gesehen, dessen Mittel mancherorts verpufften, wenn sie in einer Weise eingesetzt wurden, von der die Kinder nicht profitierten.

Dabei muss klar sein, dass nicht wieder eine Legislaturperiode verstreichen darf, bevor in den Schulen ein Mehrwert ankommt. Die Kinder und Jugendlichen brauchen jetzt Unterstützung. Gelingen wird dies nur, wenn unter Verzicht auf das übliche Zuständigkeits-Pingpong ein Konzept aus einem Guss die Verantwortung für Schule übernimmt.

Bereits Ende 2022 hatte die LEK NRW ein Positionspapier (1) und eine Pressemitteilung (2) bezgl. des Mangels an Lehrpersonals und weiterer an Schule tätigen Personengruppen herausgegeben.

Nicht nur, aber insbesondere an herausfordernden Standorten, fehlen Lehrkräfte und andere Fachkräfte, um aber die Attraktivität benachteiligter Standorte zu steigern, braucht es eine bessere Ausstattung der Schulen. Hierbei spielt langfristig auch die Senkung des Klassenfrequenzrichtwertes, um kleinere Klassen zu bilden, eine zentrale Rolle.

Des Weiteren ist es, trotz des Anreizes den Lehrberuf durch eine finanzielle Gleichbehandlung, Familienfreundlichkeit oder zusätzliche Mehrbezahlung attraktiver zu machen, in der Vergangenheit nicht gelungen offene Stellen entsprechend zu besetzen. Unterrichtsqualität und Vielfalt der Angebote hängen daher nicht zwangsläufig mit der Besoldung zusammen. Aus der hohen Anzahl von Teilzeitkräften im Lehrberuf kann man ablesen, dass entsprechende Angebote gerne wahrgenommen werden. Jedoch ist die Rücksicht auf die Familien nicht der einzige Grund, sondern auch wegen einer zunehmend empfundenen Überlastung. Die zunehmende Diversität und Vielfalt, stellt Lehrkräfte vor unterschiedlichen Herausforderungen, denen auch different zu begegnen ist.

Das Gelingen von Bildung (was sich auch in der o.g. IQB-Studie widerspiegelt) hängt von den Voraussetzungen vor Ort und der Ausstattung der Schulen ab, wie u.a. von der weiteren personellen Entlastung durch andere Fachkräfte. Um in der sich zuspitzenden Bildungskrise Chancengleichheit herzustellen, müssen neue Wege gegangen werden, manche davon vielleicht nur befristet, doch schnellstmöglich.

Es braucht daher ein nachhaltiges Gesamtkonzept, für welches wir u.a. folgende Punkte als wichtig erachten:

  • Bezogen auf die Sicherstellung der zukünftigen Unterrichtsversorgung braucht es zuverlässige Bedarfszahlen. Der Anstieg offener Lehramtsstellen von ~4000 (Mitte 2022) auf ~8000 (Ende 2022) sind aus Sicht der LEK NRW noch nicht das Ende der Fahnenstange. Zum einen ist zu klären, ob in diesen Erhebungen die Teilzeitstellen (korrekt) berücksichtigt sind, zum anderen sehen wir einen Mehrbedarf durch die anzustrebenden kleineren Klassen; und darüber hinaus muss auch für die noch zu bauenden Schulen (allein in Köln sind es über 50 (3)) Lehrpersonal zur Verfügung gestellt werden können.
  • Ein vergleichbares Angebot wie zur Behebung des Landarztmangels, könnte auch für den Lehrberuf an benachteiligten Standorten erwogen werden. Gerade das Lehramtsstudium für Grundschulen ist immer noch sehr beliebt, der Zugang aber durch einen NC blockiert. Studierwilligen, die bereit sind, eine befristete Zeit an benachteiligten Standorten zu unterrichten, könnte ein Studienplatz bevorzugt angeboten werden.
  • Duale Lehramtsstudiengänge, die das Studium mit (bezahlten) Praktika kombinieren, und Ein-Fach-Studiengänge könnten auch Studierwilligen mit Fachabitur oder mit Berufsabschlüssen den Einstieg ermöglichen. Schaffung von mehr studienplatznahen und ausreichend bezahlten Referendariatsstellen, auch für Quereinsteiger. Die Bezahlung der Praktika und Referendariatsstellen muss schnellstmöglich erfolgen, da andere Bundesländer längst damit locken.
  • Erleichterte Einstellungsmöglichkeiten für Lehrkräfte aus dem Ausland. Hier braucht es ein Abbau von Bürokratie, damit sich, bereits fachlich qualifizierte, Personen in der Praxis beweisen, und so eine Festanstellung erhalten, können. Hier würden bezahlte Praktika, mit begleitenden Qualifizierungen, den Schulen sofort Einstellungen erlauben.
  • Zu diskutieren ist auch, ob eine schulscharfe Ausschreibung für Lehrkräfte aufrechterhalten werden kann. Oder ob nicht in einer Krisensituation von Lehrkräften genau wie von Beamten in anderen Berufsgruppen ein höheres Maß an Solidarität eingefordert werden kann und zumindest vorübergehende eine Aussetzung der schulscharfen Ausschreibung diskutiert werden muss. Damit langfristig wieder eine Attraktivitätssteigerung benachteiligter Standorte überhaupt erzielt werden kann.
  • Bezüglich der Teilzeitkräfte sollte berücksichtigt werden, dass Zurückbeorderungen und Zuteilungen von Lehrkräften in Krisenzeiten kein Tabu mehr sein sollten, bevor es z. B. zu Abordnungen von Lehrkräften aus anderen Schulen kommt. Solche Zuteilungen könnten befristet werden mit der Aussicht auf eine Wunschschule/-stelle. Auch ein finanzieller Ausgleich wäre denkbar. Die hohe Zahl an Teilzeitkräften muss aber grundsätzlich auch durch mehr Stellen, nicht nur mehr Köpfe im System ausgeglichen werden.
  • Es braucht es eine ehrliche Ermittlung des tatsächlichen finanziellen Gesamtbedarfs damit Schulen von der Liquidität der Familien oder Kommunen unabhängig werden. Hierzu braucht es eine passgenaue Ermittlung des Sozialindex der Schülerinnen und Schüler, so dass Lernmittel entsprechend angepasst werden können. Daher muss der tatsächliche Lernmittelbedarf ermittelt werden. Weil es die eigentliche Lernmittelfreiheit aber schon lange nicht mehr gibt, muss diese ebenso neu gedacht werden und stärker einkommensabhängig und sozial gestaltet werden.
  • Es braucht Entlastungskräfte für administrative Aufgaben an den Schulen, zusätzliche Verwaltungsschulleitungen, Sozialpädagogen, medizinische Fachkräfte, Teilhabeassistenzen, damit Lehrkräfte gerade an herausfordernden Standorten mehr Zeit für Unterricht haben. Damit ist nicht nur die Erhöhung der Sekretariatsstellen gemeint, um Schulleitungen zu entlasten. Dabei könnten z.B. auch zusätzliche verwaltende Konrektoren Stellen geschaffen werden. Grundsätzlich müssen aber auch die Lehrkräfte selbst von Administrationsarbeiten entlastet werden.

Daher braucht es sowohl Administrationskräfte für Lehrkräfte, aber auch nachrangig pädagogisch entlastende Kräfte im Unterricht. Mit Blick auf den Ausbau des Ganztags und der Inklusion, können Synergien hergestellt werden. Es braucht eine Aufhebung der Konnexitätsverflechtungen und eine passgenaue Bedarfsanalyse des Standorts. Nur so kann dem individuellen Bedarf schon vorzeitig begegnet werden, wenn er durch die Grundausstattung aufgefangen werden kann und zu keiner Überlastung mehr führt. Nur so kann auch diesem Personal langfristig eine Perspektive geboten werden, Multiprofessionelle-Teams wachsen und Bildung gelingen

  • Wie relevant Bildung ist, kann und darf nicht länger nur Wahlkampfthema bleiben, sondern muss als Indikator für den gesellschaftlichen Zusammenhalt gesehen und verstanden werden. Aus o.g. Gründen scheint es aus unserer Sicht längst überfällig, ein übergreifendes kommunales und Landes-Arbeitsgremium, mit allen Bildungsakteuren von Schulleitungen, Lehrkräften, Wissenschaft, Verwaltung, Politik, Schülerschaft und Eltern, einzurichten, damit dem Mangel effektiv begegnet, und eine chancengleiche Bildung, gesichert werden kann.

Quellennachweise:
(1) Positionspapiere – Herbst/Winter 2022; „Lehr- und Fachkräfte Mangel an
Schulen in NRW – Verlust von Bildung!“ ; September 2022; LEK NRW;
https://lek-nrw.de/?p=1875

(2) PM „Lehr- und Fachkräftemangel“; 24.11.2022; LEK NRW;
https://lek-nrw.de/?p=1921

(3) „Großer Notstand – In Köln fehlen 54 Schulen; 10.04.2020 ; KStA ;
https://www.ksta.de/koeln/koeln-grosser-notstand-54-schulen-fehlen-in-der-
stadt-218446

LEK NRW

Christian Beckmann
Vorsitzender der LEK NRW

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(chbe)

Veröffentlicht in: News